Mißtrauen ist der Anfang vom Ende

In diesem Artikel lesen Sie eine kurze Historie von ‘InternetCafés’, Standpunktbestimmung, Richtungsangaben und Handlungsanweisungen.

Das Faxgerät war eine Erfindung von Siemens. Dieser schlichte Satz zum Einstieg macht ein Dilemma deutlich: Es mangelt in Deutschland nämlich nicht an Innovation, Erfindergeist und Phantasie. Was fehlt ist Vorstellungskraft. Vorstellungskraft ist das, was gebraucht wird, um sich (und anderen) deutlich vor Augen halten zu können, wie die Schritte zur Verwirklichung aussehen könnten.Diesem Aufsatz möchte ich den Werbesatz der Deutschen Bank voranstellen: Vertrauen ist der Anfang von allem. Dem möchte ich allerdings hinzufügen: Mißtrauen ist der Anfang vom Ende.

Das weltweit erste Café im Computer- und Netzumfeld

Das weltweit erste Café im Computer- und Netzumfeld ist im “18th Streets Arts Complex” in Santa Monica, Kaliformien ansässig. Es wurde 1984 gegründet. In der netten Kneipe unten im Haus wurde ein einfacher Rechner installiert und mit Modem und Terminalprogramm bestückt. Von hier aus konnten sich die Gäste in den umliegenden MailBoxen und im philosophisch angehauchten Netz “The Well” umgucken. Beliebt war das ‘chatten’ – sich mit Menschen zu unterhalten, die irgendwo am anderen Ende der Welt oder im Haus nebenan Langeweile hatten. Im deutschsprachigen Raum erzählte erstmals die Künstlerin Kathy Huffmann davon.

Chaos Computer Club in Hamburg

In Hamburg traf sich die Scene im Umfeld des Chaos Computer Clubs in japanischen Großrechenzentren, dann in der Tornado-MailBox und zog später in einen gespendeten Vax-Computer um. Dieser tat seit etwa März 1994 seinen Dienst in einer Hamburger Diskothek, hat sich in einen PC mit Linux gewandelt und verbindet nun mehrere öffentliche Orte.

Ziemlich unbeachtet machte etwa 1992 in Fürth bei Nürnberg das ‘Falkens Maze’ auf. Ein Geschwisterpaar verband Cocktailbar, Treffpunkt und im ersten Stock Computerarbeitsplätze – diese wurden oft zum Daddeln (Doom als Netzwerkspiel) aber auch zum ernsthaften Arbeiten verwendet. Ein Modem stellte die Verbindung zur Außenwelt her, die vom Internet noch nichts mitbekommen hatte. Wie die meisten anderen Experimente in dieser Richtung schloß auch das ‘Falkens Maze’ alsbald wieder die Tore.

Noch viel früher – im Jahre 1983 – stattete die Neue Westfälische Zeitung in Bielefeld ein Café mit BTX-Terminals aus. Der Versuch scheiterte zusammen mit dem BTX-Angebot, aus dem sich die meisten Medien sehr schnell verabschiedeten.

Compuserve

Dann läuteten Spiegel und Focus den Boom ein. Nachdem vorher Datennetze dort vor allem als Hort des Bösen abgefeiert worden waren, setzte ‘Der Spiegel’ sich plötzlich für den Online-Dienst Compuserve ein – erst später – und dennoch weltweit als erstes Magazin – setzte ‘Der Spiegel’ seine Duftmarke ins WWW. Der Boom begann – der Bundeskanzler visionierte öffentlich, daß Datenautobahnen Ländersache seien. Die Netzwelt lachte verächtlicht und mußte später staunend feststellen, daß Helmut Kohl völlig richtig lag: Die öffentlichen Bemühungen im WWW – speziell die Bildungsträger – haben stets gegen die Kulturhoheit der Länder anzukämpfen. Kulturelle Identität und globales Denken scheinen sich nicht vereinbaren zu lassen. Auch die EG, als Vereinheitlichungsorganisation, kann nur wirtschaftliche Ratschläge geben. Die kulturellen und gesellschaftpolitischen Aspekte gehen derzeit an jeder größeren Kooperationsform vorbei.

Schon im März 1990 stellten auf der Sonderausstellung CHANCEN 2000 der Hannoveraner CeBIT zum ersten Mal umweltbewegte Computernutzer Kaffeemaschinen neben die Computer in der vernetzen Halle. Hier war aber nicht das typische zentralistische Konzept zu sehen, bei dem ein Computer alles weiß und der Rest der Menschheit darf sich zum teuren Telefontarif dahin wählen, wo der allwissende Computer steht. Sondern hier tauschten die dezentral in vielen Städten aufgestellten autarken und autonome Systeme die Daten untereinander aus, um sie den interessierten Menschen zum billigen Telefonortstarif weiterzureichen. Hier konnte tatsächlich von einem Netzwerk gesprochen werden. Hier wurden nicht an erster Stelle Computer vernetzt – sondern Menschen.

Diese Entwicklung hat Ihre Ursprünge auch etwa um 1984 herum. Am Rande des Chaos Communication Congress wurde überlegt, wie eine preiswerte Kommunikationsstruktur für potentiell alle Bürgerinnen und Bürger aussehen müßte. Aus schnell zusammengehackten MailBox-Programmen evolutionierten verschiedene Programme und Netze. Von Anfang an sollten diese Netze nicht im Dienst der Technik stehen, sondern es sollten ‘vernünftige’ Inhalte transportiert werden. Es entwickelte sich erst einmal eine recht harmonische Onlinekultur. Gerade mal geteilt in die Technikfreaks und CB-Funker, die sich des aus den USA importierten “weltweiten” Fido-Netzes bedienten und den inhaltlich Motivierten des Zerberus-, Maus- und /CL-Netzes.

Teile und herrsche

Dann kamen auch schon die ersten Trennungen. An den Unis gab es kostenlose ‘Connectivity’ und richtige UNIX-Rechner – wer einmal unter UNIX programmiert hatte, war in der Regel nur unter Zwang bereit, weiterhin für das (in der Bevölkerung verbreitete) MS-DOS zu programmieren. Auch war an den Unis das UseNet, das wie das Fido-Netz das Adjektiv “weltweit” mit sich trug, zu bekommen. Die Nase wurde nun ein bißchen höher getragen und FTP gehörte zum Statussysmbol, um sich von den ‘Nickelnetzen’ abzusetzen.

Das war auf der einen Seiten auch sehr positiv. Schade war, daß die ursprünglich intensiven Diskussionen mitsamt den Kontakten versandeten. Plötzlich war das Thema, wie eigentlich eine Kommunikationsgesellschaft aussehen sollte, nicht mehr so aktuell. ISDN-Kanalbündelung war dem Doppelauspuff unter dem Manta plötzlich sehr ähnlich geworden. Und anstatt den willkommenen Medienhype ums Internet für einen konstruktiven Ausbau von Strukturen zu nutzen, wurde mittels WWW eine Ebene geschaffen, die sich eher gegen eine kommunizierende Weltgesellschaft wandte: Prospekt- und Visitenkartenerstellung im Netz wird bis heute betrieben. Der Kommunikationsaspekt ist der Informationsgesellschaft gewichen. Es werden nunmehr nur noch die bekannten zweidimensionalen Einweg-Medien auf Browserverträglichkeit umgesetzt.

Tatsächlich sprechen immer noch viele Menschen von Interaktivität, wenn sie nur Multiple Choice meinen. Die Freaks von früher, die sich “Netze für alle” auf die Fahnen geschrieben hatten, hatten nun als Fachleute kostenlosen Zugang zu ihrem Objekt der Begierde – dafür dürfen sie jetzt Verkaufsanzeigen ins Netz stellen. Daß Nachbar Müller nun immer noch keinen kompetenten Umgang mit dem Netz pflegen kann, wird nur noch im Hinterkopf wahrgenommen.

Wunderbares schlechtes Gewissen

Aber immerhin. Im Hinterkopf ist da noch was. Ein schlechtes soziales Gewissen versucht immerhin ein Feigenblatt zu finden. So erinnerte man sich manchmal an alte Forderung, Netzzugang als Menschenrecht zu begreifen und propagiert ‘Internetcafés’. Die einfachste Lösung sieht vor, daß in einer schmuddeligen Kneipe neben dem Geldspielautomat ein Computer aufgestellt wird. Schon ist ein öffentlicher Zugang hergestellt – also eigentlich alles ganz prima.

Was den ganzen Initiativen (neben aufgeklärten InvestorInnen) fehlt, ist eine kooperative Sammlung von Erfahrung. Es genügt eben einfach nicht, einen Medienhype ernstzunehmen und nur genau das Erwartete umzusetzen. Das WEB ist ein hervorragendes Archivsystem mit guter Oberfläche. Zumindest in den wenigen Teilen, die von der ursprünglichen Vorstellung von Tim Berners-Lee bereits umgesetzt worden ist. (Eigentlich sollte das ein Werkzeug werden, daß gemeinschaftliches Arbeiten an ein und demselben Dokument möglich macht.) Es ist hervorragend geeignet, um Menschen zu erklären, daß es Datennetze gibt. Plötzlich war es dank Browser möglich, per COPY und PASTE eine WWW-Seite in ein Zeitungslayout zu transferieren oder es mit einer Kamera abzufilmen. Und von da aus wieder zu verbreiten. Damit sparen wir uns langatmige Erklärungen, daß es da so etwas “völlig Neues” wie Datennetze gibt – und könnten eigentlich direkt dazu übergehen, diese Netzwelt so einzurichten, wie wir sie haben wollen.

Und das ist der Punkt: Wie wollen wir die Netzwelt haben, wie muß sie gestaltet sein? Und nicht die Passivhaltung fördern, der wir in der immer wieder gestellten Frage: “Was kommt da auf uns zu” begegnen. Solange wir nur die “Einen-PC-mit-Netscape-in-eine-Kneipe-stellen”-Variante des öffentlichen Zugangs zu Datennetzen installieren, begehen wir Zeitverschwendung. Und verschenken wertvolle Lebensenergie.

Grundlagenforschung

Erst denken – dann machen. Dieser Satz ist zwar nicht immer und für alles richtig – aber nur machen, ohne zu denken ist mindestens ebenso falsch. So dachten wir auch in Bielefeld und haben uns, bevor wir uns sehenden Auges in das finanzielle Abenteuer einer öffentlichen Netzanlaufstelle stürzten, erst einmal nachgedacht, wie so ein Ort aussehen müßte. Und was dieser Ort kosten würde. Und wir stellten erschreckt fest, daß es nicht genügt, so einen Ort zu konzipieren, sondern, daß einen riesiger Berg an Grundlagenforschung abzutragen ist. Dazu gehört die Gestaltung von Gesetzen, bilateralen Abkommen, Definition von Netz-Kleingeld, Datenschutzstrukturen, Netz-Etiketten, Kooperationsvorgaben (z.B. wie in Deutschland die Industrie- und Handelskammern zu verpflichten sind), welche Aufgaben für mittelständische Unternehmen übernommen werden können, wie ein Raum aussehen muß, der auch face-to-face-Kommunikation zwischen Netzwesen ermöglicht, wie Lehrkräfte auszubilden sind. Wie groß muß das Einzugsgebiet für so ein Unternehmen sein und wie kann eine kleinere Ausgabe in strukturschwachen Gebieten aussehen? Wie läßt sich das Konzept ins Ausland verkaufen – ist Franchising eine Möglichkeit, auch den Thinktank autonom zu finanzieren? Neben dem Thinktank der Grundlagenforschung müssen gleichzeitig mindestens ein solcher Ort als Modellprojekt installiert werden. Es müssen Finanzkonzepte erarbeitet werden, wie ein solches Unternehmen zu Umsatz und Gewinn kommt, wieviele Menschen dort Arbeit finden, welche Studiengänge entwickelt werden müssen und wie eine abschreibefertige Kalkulation aussehen mag. Welche Formen des Buisiness können dort mit einbezogen werden? Bürodienstleistungen für Firmen, die kein eigenes Firmengebäude brauchen, aber eine Ansprechpartenerin oder einen Ansprechpartner pro Stadt. Gegebenenfalls ist hier der Anlaufpunkt für Telearbeiterinnen und -Arbeiter. Konzeption und Softwareerstellung für das Billing und für das Verteilen von Aufgaben muß gemacht werden (welcher Broker im Fachgebiet XY hat gerade Zeit eine Anfrage von Firma YZ zu bearbeiten).

Diese Grundlagenforschung kann nicht von Existenzgründern geleistet werden – dies muß erst einmal durch Drittmittel finanziert werden. Eine recht bescheidene Kalkulation des FoeBuD e.V. kam auf eine Startsumme von etwa 30 Millionen Mark für die ersten fünf Jahre. Das ist ein Klacks, wenn wir bedenken, wie groß der Kommunikationsmarkt der Zukunft sein wird und wenn wir bedenken, wieviele neue hochqualifizierte Arbeitsplätze hier geschaffen werden, ohne im Gegenzug dabei alte Arbeitsplätze zu vernichten.

Die Ergebnisse dieses Modellprojektes sollen (und müssen) natürlich öffentlich sein.

Bei aller Begeisterung über die technischen Faszinationen des Mediums Netz sind bis jetzt die Inhalte und die eigentlichen Aufgaben völlig außer Betracht gelassen worden. Die Carrier denken an den einfachen Profit, die Mehrwertdienstleister hecheln gut zahlenden Firmenkunden hinterher. Auch T-ONLINE, AOL und ComuServe – die immerhin schon den einen oder anderen Klimmzug um die Privatkunden machen – denken noch nicht wirklich daran, daß von einem Netz ohne Menschen keine Impulse ausgehen. Ohne diese Impulse, ohne Inhalte, ohne echten Nutzen, werden keine Menschen kommen und damit wiederum auch kein Inhalt. Und damit wiederum auch kein Umsatz – und schon gar kein Gewinn (zur Erinnerung: AOL schrieb letzes Jahr 150 Mio DM Verlust). Dieser Teufelskreis muß durchbrochen werden.

Vor dem Ernten muss gesät werden

Somit begrüße ich den Vorstoß der Leipziger Messe außerordentlich, eine Schar interessierter Menschen zusammenzutrommeln und ein wenig als Impulsgeber zu fungieren. Es ist nun die Frage, welchen Nutzen wir aus dem Zusammentreffen ziehen. Es kann auf der schönen Ebene des gemeinsamen Kennenlernens erstarren oder eine nette Aufforderung an Karstadt sein, das erste Kontakt- und Lobby-Büro zu finanzieren. Wer mit Netzcafé wirbt, muß eben auch was dafür tun. Zur Untermauerung meines vorletzten Halbsatzes empfehle ich als Lektüre das für nicht BWL’ler etwas schwer lesbare Buch von Professor Helge Löbler und Manfred Perlitz über das “Innovationsverhalten in der mittelständischen Industrie” (ISBN 3-7910-5027-3). Vertrauen ist angesagt – Mißtrauen in das Netz und mangelnde Investitionsbereitschaft würde eine gute (Geschäfts-)Idee im Ansatz scheitern lassen.

Ob Deutschland mit ‘Netzcafés’ einen Exportartikel haben wird oder wir Netznutzungs-Know-How bald wie Fax-Geräte im Ausland kaufen müssen, wird jetzt entschieden.

padeluun

Text für das erste Treffen der deutschen Internet-Cafés 1996, ausgerichtet von der Messegesellschaft Leipzig u.a. komplett veröffentlicht unter anderem in “Freitag”, 1996